Volkswagen Käfer


Die Geschichte dieses Käfers habe ich für die Clubzeitschrift der Brezelfenstervereinigung aufgeschrieben und möchte sie an dieser Stelle wiedergeben.

Glück oder Schicksal? Wie ich im Jahre 2011 zu einem Ersthandhand-Ovali kam

Am 2. März des Jahres 1955 betritt die 34-jährige Marta Haller die Göppinger Autohandels-Gesellschaft mbH, im Ort besser bekannt unter der Abkürzung G.A.G. Fest entschlossen, sich einen Wagen zu kaufen, den sie sich von ihrem Gehalt als Fernschreiberin endlich leisten kann, auch wenn sie ihn sich, damals nicht unüblich, vom Munde abgespart hat. Da die G.A.G. Volkswagenhändler und VW-Kundendienststation in Personalunion ist, soll die Wahl auf den Käfer fallen. Zuverlässig und robust sowie günstig im Unterhalt sei er, habe sie mehrfach gehört. Schließlich will das mühsam gesparte Geld gut angelegt sein. Am Ende ihres Besuches hält Fräulein Haller, die nie verheiratet war und Zeit ihres Lebens alleinstehend sein sollte, stolz ihre Bestellung in den Händen. Sie hat sich für einen „Personenwagen Export mit Schiebedach, Farbe: schwarz“ entschieden. 4850,-- DM zzgl. 250,-- DM für das Faltschiebedach hat sie an diesem einen Tag ausgegeben. Die Lieferzeit ist mit Ende Mai 1955 angegeben. 12 Wochen Lieferzeit sind kein Pappenstiel, doch nicht weiter ungewöhnlich in einer Zeit, die man später als das „Wirtschaftswunder“ bezeichnen und die Marta Haller nutzen wird, eine Garage an das Haus anbauen zu lassen. Eigens für das neue Auto, das einst ihr ganzer Stolz werden soll!

Am 03.06. desselben Jahres ist es soweit: Der Export-Käfer wird mit dem amtlichen Kennzeichen AW34-5507 zugelassen. 6,-- DM werden für das Schilderpaar fällig, weitere 9,-- DM müssen für die Zulassungsgebühr aufgebracht werden und das restliche halbe Jahr KFZ-Steuer schlägt mit 89,10 DM zu Buche. Doch all das ficht die frischgebackene Volkswagenfahrerin nicht im Geringsten an. Sie setzt sich in ihren Ovali und braust davon.

Am 30.06. wird sie wieder vorstellig bei der G.A.G. In knapp vier Wochen hat sie nun 579 Kilometer abgespult und der kostenlose 500-km-Wartungsdienst ruft nach Einlösung. Bei der Gelegenheit lässt sie auch gleich für 3,-- DM Abschmieren und für 3,50 DM den Wagen waschen. Um den Innenraum etwas wohnlicher zu gestalten, leistet sich Frl. Haller eine Blumenvase für 4,70 DM. Fortan sollte sie ihre Wartungsintervalle akribisch einhalten. Sie lässt nichts an ihrem „Käferle“ machen, was sich außerhalb einer Fachwerkstatt abspielt. Selbst als die Batterie am frostigen 20. März des Jahres 1956 einmal schlapp macht, bringt sie diese zum Nachladen (1,40 DM) zur G.A.G., bei der sie bald zur gern gesehenen Stammkundschaft avanciert. So vergingen die Jahre, in welchen Marta Haller und ihr Käfer unzertrennlich wurden.

Ende der 80er-Jahre hatte mich das VW-Fieber voll im Griff. Ich fuhr mit großer Leidenschaft T1-Bulli - selbstverständlich im Alltag. Sowas wie das H-Kennzeichen gab es nicht und man musste sich keine Gedanken um Fahrverbote oder sonstige staatliche Gängeleien machen. Ab und an kam mir auf dem Weg von der Arbeit nach Hause ein schwarzer Ovalkäfer entgegen, den eine etwas ältere Dame fuhr. „Donnerwetter!“, dachte ich jedesmal aufs Neue, „Der ist bestimmt aus Erstbesitz.“ Ich nahm mir vor, die Dame auf das Auto anzusprechen, wenn sich die Gelegenheit ergeben sollte. Schließlich sah ich sie damit immer nur zum örtlichen Supermarkt fahren. Da sollte es keine Mühe machen, sie dort abzupassen. Machte es aber doch und der Wagen sowie die Dame verschwanden irgendwann aus meinem Blickfeld und aus meiner Erinnerung - für gut 25 Jahre!

Zeitsprung: Wir haben November 2011 und eines Abends klingelt das Telefon. Ich nehme ab und mein Bekannter Michael Haller, der im selben Ort wohnt wie ich, fragt mich, ob ich nicht für ihn ein Fahrzeug schätzen könne, da ich mich doch mit „alten Autos“ auskennen würde. Er habe von seiner Tante einen alten Käfer geerbt, den er nun verkaufen wolle. Da zum Käfer nämlich auch gleich ein ganzes Anwesen gehöre und der Staat in solchen Fällen unerbittlich zuschlage, müsse nun irgendetwas in Bares umgewandelt werden, um dem Fiskus seinen Anteil nicht vorzuenthalten. Klar wollte ich! Ich war zwar zwischenzeitlich zur automobilistischen Konkurrenz übergelaufen, doch tief im Innern schlug mein Herz immer noch für die luftgekühlten Wolfsburger Produkte. Warum also dem Michel nicht den Gefallen tun? Wir verabredeten uns also ziemlich zeitnah am Haus seiner Tante und quatschten noch ein wenig mit dem neuen Mieter, als Michael begann, das doppelflügelige Tor aufzusperren. Er zog die beiden Hälften auf und mir schossen beim Anblick des dahinter zum Vorschein gekommenen Automobils stante pede drei Fragen durch den Kopf:

1. Woher nehme ich jetzt Geld her
2. Wo bekomme ich einen Stellplatz her
3. Wie sage ich es meiner Frau

Was ich dort zu sehen bekam, überstieg meine Erwartungen bei Weitem. Ein nahezu makelloser Ovalkäfer, weitgehend im Erstlack, wie sich später herausstellen sollte, schlummerte in der Garage vor sich hin und ich war von einem Moment auf den anderen wieder mit dem alten VW-Fieber infiziert, das ich noch so gut aus den 80er-Jahren kannte.

Ich schlich um das Auto, murmelte fortlaufend „unglaublich“ vor mich hin und konnte es immer noch nicht fassen. Ein Blick auf den Tacho offenbarte eine Laufleistung von 98326 km. Daß diese original waren, stand für mich außer Frage. Es reichte ein Blick in die umfangreiche Dokumentation des Wagens, die der Erbe mitgebracht hatte, um dies zu verifizieren. Seine Tante Marta sei doch so wenig gefahren, meinte er. Die weiteste Fahrt habe der Wagen kurz nach dem Kauf nach Oberstdorf gemacht und danach nur einmal pro Woche zwischen dem Wohnort der Tante und dem Supermarkt im Nachbarort gependelt. Im Winter sei seine Tante nie gefahren, davor habe sie zu sehr Angst gehabt. Selbst bei starkem Regen sei der Wagen in der Garage geblieben. Eine Konzession an die schwache Sehkraft eines ihrer Augen. Wie jetzt? Keinen Winter gefahren? Das mußte ich sehen, sofort! Ich kroch also so gut es ging unter den Wagen und konnte aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse leider nicht viel sehen. Nur, daß der Unterboden zumindest im Randbereich keine Schweißstellen aufwies. Ich machte also die Gegenprobe und öffnete die Fahrertüre, um die Fußmatten und den Teppich anzuheben. Unnötig zu erwähnen, daß sich der Innenraum in makellosem Zustand präsentierte. Ich hob also die Matten an und sah nur unversehrtes Blech vor mir. Mein Blutdruck stieg! Ich setzte mich auf den Fahrersitz und freute mich über die straffe Polsterung. Kein Wunder, denn in diesem Wagen saßen weder Beifahrer noch Kinder. Dementsprechend sauber und neuwertig präsentierten sich die Sitze und die Sitzbank.

Nun wollte ich das sanfte Leuchten der Öldruckkontrolle und der Batterieladeanzeige sehen. Michael Haller erfüllte mir gerne den Wunsch, zog dafür aber unter der Rücksitzbank ein Verlängerungskabel hervor, das er in eine Steckdose an der Garagenwand steckte. Noch bevor ich einen fragenden Blick aufsetzen konnte, erklärte er mir, daß eine Werkstatt seiner Tante ein Ladegerät unter die Sitzbank installiert hatte, damit sie, kurz bevor sie den Wagen nutzte, die Batterie noch kurz nachladen konnte um starten zu können. Ich kam mir vor wie in einer Zeitmaschine, als ich, meinen Blick fest auf den Tacho gerichtet, die beiden kleinen Leuchten ihre Funktion aufnehmen sah. Ein Käfer ist kein Bulli doch im Tacho und dessen Anmutung unterschieden sie sich in keiner Weise. Der starke Drang, dieses Fahrzeug besitzen zu müssen, potenzierte sich schlagartig.

Als ich dann durch die Windschutzscheibe schaute, bekam ich urplötzlich Gänsehaut! Das werden doch nicht … Doch, das sind sie. An der Innenseite eines der Garagentorflügel hatte jemand die Originalkennzeichen des Käfers angeschraubt. Ich blickte auf ein schwarz lackiertes Schilderpaar mit weiß abgesetzter Schrift, welche die Buchstaben-/Zahlenkombination AW34-5507 preisgab. AW - Amerikanische Zone Württemberg, 34 - Landkreis Göppingen! Sollte ich diesen Wagen nicht bekommen, würde ich mir auf jeden Fall die Schilder sichern, dachte ich mir. Gedankenverloren drückte ich den verchromten Knopf des Handschuhfachdeckels um einen Blick ins Handschuhfach zu werfen und zog die Betriebsanleitung sowie ein in dunkles rot gehaltenes Lederetui der G.AG. heraus, welches das darin befindliche Scheckheft vor Beschädigungen schützen soll. Tief durchatmend kramte ich noch ein blau-weißes Heftchen aus dem Handschuhfach. Es waren die Arbeitspreise von VW, als der Werkstattaufenthalt noch einigermaßen planbar und transparent war. Nach einem kurzen Durchblättern erfuhr ich, daß der Motoraus- und einbau 7,50 DM kostete. Das waren noch Zeiten. In der Blumenvase am Armaturenbrett steckten Kunstblumen, die ich, mittlerweile berauscht vom Fahrzeug, aber nur noch am Rande wahrnahm.

Ich stieg wieder aus und öffnete den Motorraum. Jetzt wollte ich wissen, ob noch die Originalmaschine ihren Dienst verrichtete. Ein kurzer Vergleich der relevanten Nummern mit dem Fahrzeugbrief bestätigte die ohnehin angenommene Vermutung. Wieder ein Punkt mehr für das Argumentekonto. Jetzt noch der Kofferraum. Ich zog den Griff für die Haubenentriegelung und arretierte die Haube. Ins Auge stach sofort der Tank mit dem großen Verschluß und der auffälligen VW-Prägung. Ich drehte am Verschluß um einen Blick in den Tank zu werfen, der etwa zu einem Viertel mit Treibstoff gefüllt war. Innen zeigte sich der Behälter blitzblank! Auch der restliche Kofferraum präsentierte sich von seiner Schokoladenseite. Ich lupfte das Reserverad und blickte auf eine unversehrte und ungeschweißte Reserveradmulde. Der Bremsflüssigkeitsbehälter und das Blech drumherum waren leicht rostpickelig, doch das störte mich angesichts des restlichen Zustands des Autos überhaupt nicht. Die Kotflügelschraubkanten und die Stehbleche allgemein waren wie im Auslieferungszustand. Das Bordwerkzeug verbarg sich in einer Stofftasche, die es sich wiederum hinter dem Tank bequem gemacht hatte. Der Wagenheber lag daneben. Ich schloß die Haube wieder und nahm das Faltschiebedach in Augenschein, das wie neu glänzte. „Weißt Du, wann das Dach gemacht wurde?“, fragte ich meinen Begleiter. „Gar nicht.“, entgegnete er lakonisch. „Tante Marta“, fuhr er fort, „fuhr doch nur einmal die Woche von hier zum Edeka. Da hat sich das Öffnen gar nicht gelohnt.“ Ich kann jetzt nicht behaupten, daß mich diese Aussage sonderlich überrascht hat, denn das war offenbar nicht die einzige Schrulle, die sich Tante Marta leistete. So hat sie den Käfer jedes Mal, wenn sie ihn in der Garage abstellte, zusätzlich mit einer Decke zugedeckt. Davon abgesehen, daß in der Garage ohnehin keine Sonne schien, war das Faltschiebedach zusätzlich gegen Katzen, Staub oder sonstige ungünstige Einflüsse geschützt.

Ich ging nochmals um den Wagen herum, mir immer wieder die drei Fragen vom Anfang stellend. Ich hatte doch erst das ganze Ersparte in die Tilgung eines Darlehens gesteckt und spielte gedanklich verschiedene Formen der Barmittelbeschaffung durch. Überdies hatte ich doch schon zwei Oldtimer. Für einen dritten fehlte mir der Platz, doch wann sieht man sich schon so einer Gelegenheit gegenüber? Meiner Frau würde ich das schon irgendwie beibringen! Das war das einzige der drei Probleme, das ich meinte, im Griff zu haben. Ich begann zu schwanken. Der Verkäufer hatte ohnehin gemeint, er wolle das Auto an einen Meistbietenden verkaufen und ich sollte ihm nun die Argumente und die Verkaufsplattformen liefern. Dazu war ich heute ja eigentlich da. Ich lief nochmals und nochmals um den Käfer herum. Irgendwas stimmte mit der Motorhaube nicht, doch bis auf die viel zu breite Nummernschildbeleuchtung fiel mir nicht ein, was es sein könnte. Zu lange schon war ich aus dem Thema „Volkswagen“ raus. Schlußendlich machte ich Bilder des Gefährts um zuhause in meinen Büchern nach evtl. Unregelmäßigkeiten zu forschen. Schweren Herzens verließen wir die Garage und ich setzte mich zuhause sofort hin, um in der einschlägigen Literatur meine Fotos mit den Abbildungen in den Büchern zu vergleichen.

So fand ich heraus, daß die Motorhaube aus einem Nachfolgemodell stammte und in diesem Zuge auch gleich das Heckblech samt Auspuff getauscht wurde. Das ließ in mir den Verdacht eines Heckschadens aufkommen, was sich aber bei späteren Untersuchungen als unbegründet herausstellte. Meine Vermutung heute ist, daß Frau Haller eines Tages zur Inspektion fuhr und man feststellte, daß der Auspuff getauscht werden musste. Da die Werkstatt Anfang/Mitte der 60er-Jahre vielleicht keinen einteiligen Auspuff mehr vorrätig hatte und der Doppelrohrauspuff längst Standard war, bot man der arglosen Kundin an, das Heck auf den aktuellen Stand zu bringen, indem man das Heckblech, den Auspuff und eben die Motorhaube tauschte. Das hätte ja den großen Vorteil, daß man in Zukunft keine Probleme mit dem Auspuff bekäme. Warum man der Dame nicht einfach zwei Aussparungen ins Heckblech schnitt, bietet Raum für Spekulationen. Jede Werkstatt ist eben doch auf Gewinnerzielungsabsicht aus.

Die Winker wurden selbstverständlich stillgelegt, verblieben aber gottlob in ihren Schächten, und wurden durch die zeitgenössischen Blinker ergänzt. Leider fielen der Modernisierung auch die Herzchenleuchten zum Opfer. Es sieht aber skurril aus, wenn man sich das Heck betrachtet und die im Vergleich zum Ovali nach August 1955 tieferliegenden Leuchteinheiten betrachtet. Ich kann nicht leugnen, daß dies einen gewissen Charme auf mich ausübt.

Die letzte Änderung betrifft die Zündung. Das Zünd-/Anlaßschloß im Armaturenbrett wurde stillgelegt und eines für die Lenksäule mit Lenkradschloß installiert. Trotzdem sind alle Schlüssel des Wagens komplett vorhanden, so daß bei Bedarf problemlos auch das alte Zündschloß in Betrieb genommen werden kann.

Die folgende Nacht verlief unruhig. Meine Gedanken kreisten um den Käfer wie die Motten um das Licht. Immer wieder suchte ich Antworten auf die zwischenzeitlich nur noch zwei Fragen, die ich mir zu stellen hatte. In den kommenden Tagen sprach ich alle möglichen Leute auf meine beiden Probleme an und nach gut einer Woche konnte ich mir der Unterstützung guter Freunde sicher sein. Jetzt also nochmals an den Verkäufer ran und verhandeln. Wir vereinbarten einen zweiten Vor-Ort-Termin, zu welchem Michael auch alle Unterlagen zum Wagen mitbringen wollte. Wenn ich schon zuschlage, will ich mir nochmals alles genau anschauen. Erneut krabbelte ich in jede Ecke des Wagens, betrachtete das Interieur, inspizierte von Außen und konnte keinen Grund ausmachen, den Ovali nicht zu kaufen. Na gut, dann werfe ich einen Blick in die Unterlagen und lasse mir von Michael den Ordner reichen. Wenn es noch den letzten Tritt in den Allerwertesten gebraucht hatte, um exakt jetzt zuzusagen, dann hatte ich ihn soeben bekommen. Ungläubig blätterte ich mit imaginären Samthandschuhen den Ordner durch. „Alles da“, dachte ich und immer wieder „Wahnsinn!“. Die Liste der Dokumentation las sich wie ein Märchen: Fahrzeugbrief (Pappbrief mit nur einem Haltereintrag), Fahrzeugschein (allerdings abgemeldet), Bestellung, Auftragsbestätigung, Rechnung, Überweisungsträger für die Bezahlung des Wagens, Quittung für die Schilder, Begrüßungsschreiben des Herrn Nordhoff, nahezu alle Inspektionsbelege, TÜV-Berichte, Versicherungspolicen u.v.m. breitete der Ordner vor mir aus als wolle er sagen: „Wenn Du jetzt nicht kaufst, bist Du selbst schuld!“ Ich bekam nur noch ein leicht kratziges „Ich nehme den Käfer!“ raus, denn jetzt war ich vollends in Flammen aufgegangen, doch was bekomme ich zurück? „Da muß ich erst noch mit meiner Frau und einem weiteren Verwandten reden!“ Kennt jemand das Gefühl, wenn man vor Begeisterung brennt und plötzlich gießt einem jemand eiskaltes Wasser auf diese lodernde Begeisterung? Von einem Moment auf den anderen fühlte ich mich ziemlich mies und eiskalt abgeduscht; denn was, wenn mein Angebot zu niedrig war? Was, wenn sich dieser ominöse andere Verwandte dazu entschließen sollte, den Käfer selbst zu kaufen? Es vergingen unruhige 5 Tage, bis ich die Gewissheit hatte, das Auto zu bekommen.

Nun sollte alles ganz schnell gehen, denn meine Ungeduld war kaum mehr zu bremsen. Zunächst wollte ich wissen, ob die Maschine noch lief und man den Käfer auf Achse in meinen gut 10 Kilometer entfernten Wohnort überführen konnte. Frische Batterie eingebaut, Ölstand geprüft (in Ordnung und goldgelb; der Käfer musste also knapp nach dem letzten Ölwechsel abgestellt worden sein), Kerzen gesäubert und etwas WD40 in die Brennräume, dann den Motor, der zum Glück nicht fest war, von Hand ein paar Mal durchgedreht. Das Zündkabel von der Zündspule abgezogen und Zündung eingeschaltet. Ich habe den Motor so lange drehen lassen, bis Öldruck aufgebaut war. Dann das Zündkabel wieder aufgesteckt und wieder auf dem Fahrersitz Platz genommen. Jetzt der große Moment: Zündung ein - Gangschaltung in den Leerlauf - Kupplung durchdrücken - Luftklappenzug herausziehen und los! Nach ein paar wenigen Umdrehungen und etwas Startpilot beginnt der Boxer zum Leben zu erwachen und läuft nach kurzer Zeit rund. Was für ein Gefühl, was für eine Freude. Ein Schauer nach dem anderen lief über meinen Rücken. Die Vergangenheit war urplötzlich zur Gegenwart geworden. Ich sah mich im Bulli durch den Alltag fahren, immer das sonore Schnattern des Boxers im Ohr. Unterschiedliche Lebenssituationen, untrennbar mit luftgekühlten Volkswagen verbunden, zogen vor einem geistigen Auge vorbei.

Doch dann wieder zurück in die Realität, denn da durch die Standzeit von knapp vier Jahren die Kupplung und eine Bremse fest waren, wollte ich das Auto unbedingt auf dem Hänger nach Hause bringen. Deswegen jedoch gestaltete sich die Abholung tags darauf etwas schwieriger als gedacht. Das Haus samt Garage stand an einem Hang und die Zufahrt war entsprechend schmal. Wir mussten also von Hand ziemlich viel Kraft aufwenden, um den Wagen aus der Garage und auf den Anhänger bugsiert zu bekommen, denn es war unglaublich viel Rangieraufwand zu leisten.

Der erste Weg führte uns anschließend zu einem Freund in dessen Werkstatt, um endlich den Unterboden genauer in Augenschein nehmen zu können. Was sich dort offenbarte, bestätigte sowohl den ersten Eindruck, den ich durch das Herunterkriechen erahnt hatte als auch den Gesamteindruck des Käfers an sich. Drei Augenpaare blickten auf ein ungeschweißtes und nahezu makelloses Chassis. Wir schauten uns ungläubig an. Frl. Haller muß tatsächlich keinen Winter damit gefahren sein. Der Motor war trocken und wies keine äußerlichen Ölspuren auf. Die Bremse wurde gangbar gemacht, einzig bei der Kupplung waren wir uns nicht sicher ob wir den Motor rausnehmen oder gemäß der „Dr.Eisenbart-Methode“ vorgehen sollten. Wir entschieden uns nach kurzer Beratung für letzteres. Der Käfer wurde somit wieder aufgeladen und an eine abschüssige Straße an den Waldrand gebracht. Zweiter Gang rein, Zündung so lange betätigen, bis der Wagen anspringt und sich von selbst fortbewegt und nach einigen Metern mit einem beherzten Tritt auf die Bremse die Fahrt, zugegebenermaßen jäh, beenden. Ein wenig tat mir das schon in der Seele weh, doch als der Motor ruhig und gleichmäßig im Leerlauf vor sich hintuckerte, war mein Glück perfekt und ich konnte die ersten Runden mit meiner Neuerwerbung drehen.

Was würde wohl jetzt Tante Marta dazu sagen? Sie starb 2010, nachdem sie 2008 aufgrund einer Krankheit ihren einzigen und treuen Lebensbegleiter abmeldete. Bis dahin war der Käfer von 1955 an ununterbrochen zugelassen. Am Ende zwar mit modernem H-Kennzeichen als Konzession an die sich mittlerweile stetig wandelnden Anforderungen des modernen Individualverkehrs, doch trotzdem 53 Jahre ununterbrochene Steuerpflicht und 55 Jahre in einer Hand, deren Pflege und Rücksichtnahme das Fahrzeug so erhalten haben, als wäre (beinahe) nichts gewesen.

Eine kleine Überraschung hielt mein Käfer, den ich gar nicht anders als „Tante Marta“ taufen konnte, unlängst noch bereit, die sich aber eher auf meine Unkenntnis in Sachen Käfer-Innenausstattung zurückführen ließ. Als ich eines Abends mit Christoph Ottenlinger, Ovali-Eigner und Brezelfenstervereinigungsmitglied, telefoniere und dieser mich nach der Farbe der Innenausstattung befragt, antworte ich mit „Grüner Velour mit beige oder hellbraun abgesetzten Kunstlederwangen. Die Türverkleidungen sind ebenfalls in diesem Kunstleder gehalten“. Dies könne nicht sein, erwiderte Christoph. Schwarze Käfer aus dem Jahre 1955 hatten entweder graues oder braunes Gestühl. Die Türverkleidungen entsprechend der Sitze. Ich grübelte - man wird doch wohl nicht die Sitze, die Sitzbank und die Türverkleidungen neu gemacht haben, weil die alten kaputt waren? Ich wurde unsicher und ging in die Garage um nachzusehen. Nach kurzer Zeit grinste ich in mich hinein und schüttelte teils ungläubig, teils bewundernd den Kopf über soviel Vorsorge. Die Sitze und die Sitzbank wurden offenbar kurz nach Auslieferung mit Paßschonbezügen überzogen und die Türverkleidungen analog dazu. Das wäre mir nie aufgefallen, wenn mich Christoph nicht auf die Fährte gebracht hätte. Ich habe am nächsten Tag, als die Lichtverhältnisse besser waren, einmal unter einen Bezug geschaut. Der Sitz sah drunter aus wie neu! Wenn man sich erneut vor Augen hält, daß die Erstbesitzerin zeitlebens alleinstehend war, ist es sicher erlaubt sich zu fragen, wozu sie diesen ganzen Aufwand betrieben hat. Ein Bezug für den Fahrersitz hätte auch gereicht! Doch am Ende bin ich froh über ihre Marotten, haben sie doch dazu beigetragen, ein Stück automobile Geschichte unverfälscht zu erhalten. Auch wenn diese Geschichte ein wenig pathetisch anmuten mag, so habe ich genau so empfunden, wie ich es niedergeschrieben habe.

Ich werde den Käfer weiter so behandeln, wie er es von Marta Haller gewöhnt ist und mit Sicherheit damit am ein oder anderen Käfertreffen in meiner Region teilnehmen. Ob ich mit ihm weite Strecken zurücklegen werde, kann ich nicht sagen. Schließlich wäre das ein Bruch mit der Tradition der alten Dame.

Nachfolgend eine kleine Bilderschau über die Geschichte des Käfers.

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